„Ich erkläre gerne das Steuerrecht“ – Interview mit Steuerexperte Rudolf Gramlich
Steuerprofi Rudolf Gramlich ist seit über 30 Jahren Teil des Steuerrings. Als Vorstandsbeauftragter im Bereich Steuern, Dozent, Beratungsstellenleiter und ehemals Leiter der Abteilung Steuern, weiß er ganz genau, wie der Verein seine Berater steuerfachlich aufrüstet. Im Interview erzählt er uns davon – und von seinen ganz persönlichen Erfahrungen im Verein.
Herr Gramlich, Sie sind seit über 30 Jahren beim Steuerring und haben viele unterschiedliche Positionen besetzt. Wo liegt aktuell der Schwerpunkt Ihrer Arbeit?
Offiziell bin ich im Ruhestand. Da ich mich aber noch fit fühle und Spaß an der Arbeit habe, leite ich weiterhin eine Steuerring-Beratungsstelle. Zusätzlich führe ich als Vorstandsbeauftragter Steuern finanzgerichtliche Klagen, verfasse Steuerfachinformationen für die Berater und bin Bindeglied zu unserem Dachverband. Den Vorstand unterstütze ich bei speziellen Fragestellungen und ich beantworte Journalistenanfragen. Außerdem bin ich nach wie vor Dozent für das vereinsinterne Schulungswerk. Sie merken: Mir ist nicht langweilig und der Ruhestand ist gewollt unruhig.
Das klingt tatsächlich recht umtriebig. Bis Mitte 2020 waren Sie auch Leiter der Abteilung Steuern, die in der Steuerring-Hauptverwaltung angesiedelt ist. Wie profitieren unsere Berater von dieser Abteilung?
Beratungsstellenleiter können sich bei Fragen jederzeit an die Hauptverwaltung wenden. Die Mitarbeiter der Abteilung Steuern sind die fachlichen Berater der Berater und unterstützen bei kniffligen Steuerfällen. Das ist nicht nur, aber vor allem für neue Beratungsstellenleiter ein großer Vorteil. Es ist ja so: Das Steuerrecht steht nie still – ständig gibt es neue Gesetze, Verwaltungsvorschriften, Urteile und damit neue Fragen. Daher ist es gut, dass der Verein eine steuerfachliche Abteilung hat, die den Beratern mit Rat und Tat zur Seite steht. Die Mitarbeiter beraten nicht nur, sondern werten auch neue Entwicklungen aus, erstellen Steuerfachinformationen und verfassen Mustereinspruchstexte. Auf all das haben die Beratungsstellenleiter Zugriff.
Welche Aufgabe im Verein macht Ihnen besonders viel Spaß?
Das ist eine schwierige Frage – es ist das Gesamtpaket! Als Beratungsstellenleiter arbeite ich an der Basis mit unseren Mitgliedern und kenne deren steuerliche Probleme und Fragen. Das ist für meine anderen Aufgaben wichtig. Beim Erstellen von Steuerfachinformationen oder bei Klageverfahren muss ich tiefer in die Steuerrechtsmaterie eintauchen. Das fördert die Arbeit in der Beratungsstelle und natürlich als Dozent. Bei allen Tätigkeiten habe ich das Gefühl, dass ich jemandem helfe und das ist schön. Ich erkläre gerne das Steuerrecht.
Hat Ihrer Meinung nach jeder Steuerring-Berater die Option, sich so vielfältig innerhalb des Vereins zu entwickeln, wie Sie es getan haben? Was muss ein Berater dafür mitbringen?
Diese Frage kann ich uneingeschränkt mit „Ja“ beantworten. Als Beratungsstellenleiter hat man verschiedene Möglichkeiten im Steuerring: Man kann natürlich immer seine Beratungsstelle vergrößern und mehr Mitglieder betreuen. Wenn ein Berater sein Handwerk beherrscht und Führungsfähigkeiten zeigt, kann er sogar der nächste Bereichsleiter werden. Nahezu alle derzeitigen Bereichsleiter haben als Beratungsstellenleiter begonnen. Oder man wird Teil der Hauptverwaltung; viele Mitarbeiter in der Abteilung Steuern beispielsweise hatten zuvor eine eigene Beratungsstelle oder leiten diese sogar immer noch. Wenn man sich innerhalb des Vereins weiterentwickeln möchte, ist ein ausgeprägtes Interesse am Steuerrecht sehr wichtig. Motivation und Verantwortungsbewusstsein prägen unsere Arbeit.
Sie sind auch Dozent des vereinseigenen Schulungswerkes TeLios. Was lernen die Beratungsstellenleiter in den Seminaren?
Jeder, der zu uns kommt, erhält ein umfangreiches und kostenfreies Angebot an steuerlichen Weiterbildungen, um immer auf dem neuesten Stand zu sein und die Mitglieder kompetent beraten zu können. Die Seminare umfassen prinzipiell alle Bereiche des Steuerrechts unserer Beratungsbefugnis. Stichworte sind zum Beispiel Werbungskosten bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, vermietetes Wohneigentum oder die Besteuerung der Alterseinkünfte, aber natürlich noch vieles mehr. Ebenso gehören Fragen rund um den Familienleistungsausgleich zum Schulungsspektrum, genau wie das Verfahrensrecht und die Abgabenordnung. Wir bekommen auch immer wieder Fragen zur internationalen Besteuerung gestellt. Die Arbeitnehmer werden flügge und arbeiten für kürzere oder längere Zeit im Ausland. Rentner beziehen Renten aus dem Ausland oder verlassen im Rentenalter Deutschland.
Sie kennen den Steuerring schon so lange – was ist für Sie das Besondere an unserem Verein?
Der Steuerring hat flache Hierarchien. Jeder kann seine Meinung haben, sie sagen – und wird auch gehört. Wir diskutieren unterschiedliche Ansichten, was übrigens gerade im Steuerrecht sehr wichtig ist, denn niemand ist allwissend. Die Türen zu den Vorgesetzten stehen so gut wie immer offen. Hinsichtlich der beruflichen Entwicklung gibt es gerade für Berater grundsätzlich viel Luft nach oben.
„Jeder beim Steuerring kann seine Meinung haben, sie sagen – und wird auch gehört.“
Letzte Frage: Sie ziehen für die Vereinsmitglieder auch vors Finanzgericht und führen oft harte Verhandlungen. Welchen Gerichtstermin in Ihrer Steuerring-Karriere werden Sie nie vergessen?
Der Steuerring war schon immer sehr klagefreudig – und dabei kommt es nicht auf den Streitwert, sondern auf unsere Rechtsauffassung an. Wir kämpfen auch um 200 Euro, was für nicht wenige Menschen eine Menge Geld ist. Sicher ist eine der bedeutendsten Klagen des Vereins die zur Pendlerpauschale gewesen. Seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 2008 können Berufspendler Fahrtkosten ab dem ersten Kilometer wieder absetzen. Der Steuerring hatte dabei zwei Kläger durch die Instanzen bis vor das Bundesverfassungsgericht begleitet und das Urteil betraf mehr als 15 Millionen Pendler in Deutschland.
Da schließt sich doch noch eine weitere Frage an: Es gab vor ein paar Jahren auch ein besonderes Klageverfahren mit einem Hund, oder?
Das stimmt! Vor dem Finanzgericht Köln ging es um die Absetzbarkeit eines Therapiehundes als Arbeitsmittel einer Ergotherapeutin. Das Gericht hatte zur mündlichen Verhandlung geladen, die Klägerin war auch anwesend – nicht geplant war die Anwesenheit ihres Hundes. Dass dieser dabei ist und mit dem Lebensgefährten der Klägerin vor dem Gerichtssaal wartete, hatte der vorsitzende Richter mitbekommen. Mit seiner Genehmigung nahm der Hund an der mündlichen Verhandlung teil. Als der Hund von der Klägerin in den Gerichtssaal geführt wurde, begrüßte dieser einzeln alle fünf Richter durch Blickkontakt. Das war sehr beeindruckend. Der weitere Verlauf der mündlichen Verhandlung war nur noch Formsache – die Klage haben wir zu 100 Prozent gewonnen. Und das Beste: Auch die anwesende Vertreterin des Finanzamts war von den therapeutischen Fähigkeiten des Hundes überzeugt.
Das ist wirklich eine tolle Geschichte! Vielen Dank für das Interview, Herr Gramlich.